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Zeit, Wind und Wetter – stärker als jede Armee

Was weder kaiserlichen noch französischen Truppen in Mainz geglückt war, gelang Zeit, Wind und Wetter: Die jahrhundertealten Festungsmauern der Mainzer Zitadelle bröckeln. Ohne weitere Sicherungsmaßnahmen drohte dem Baudenkmal schließlich der Verfall. Die dringend notwendige Sicherung ist allerdings nicht so einfach umsetzbar, da ihr ein fast schon paradoxer Befund entgegensteht: Gerade in den offenen Fugen und auf den brüchigen Steinen haben sich in der Zwischenzeit allerhand naturschutzrechtlich geschützte Flechten, Tiere und Pflanzen angesiedelt. Für die Instandsetzung des Baudenkmals mussten also Methoden entwickelt werden, die auch dem außerordentlichen Wert der Zitadelle als Biotop Rechnung tragen – ein bundesweites Leuchtturmprojekt von Natur- und Denkmalschutz.

Man kann nur erhalten, was man kennt: Grundlage der Instandsetzung ist zunächst eine gründliche Bestandsaufnahme. Auf formgetreuen Plänen werden die Schäden an Stein und Mörtel kartiert, parallel dazu erfolgt eine Bestimmung der Flora und Fauna.

Für den Erhalt schützenswerter Naturbestände wurde in enger Abstimmung aller Projektbeteiligten ein differenziertes Konzept entwickelt. Wesentlich ist dabei, dass ausgewählte Bereiche an jedem Mauerabschnitt zunächst von den baulichen Instandsetzungsmaßnahmen ausgespart bleiben. Diese Flächen dienen als Rückzugsraum für seltene Tiere, vor allem aber als „Quellflächen“, von denen aus sich die floristischen Arten sukzessive wieder ausbreiten können. Der Fortschritt der „Neubesiedlung“ wird regelmäßig überprüft. In späteren Bearbeitungsschritten können dann auch die bis dahin redundant gewordenen Quellflächen baulich bearbeitet werden. Ergänzend werden im instand gesetzten Mauerwerk Habitate für Insekten, z. B. in Form von Lochsteinen, bereitgestellt; als Kompensation für lokal erforderliche Eingriffe wie etwa Baumfällungen werden im Zitadellengraben zusätzlich Ausgleichsflächen hergestellt.

Bei der eigentlichen Mauerwerksinstandsetzung muss zwischen den unterschiedlichen vorgefundenen Schädigungsgraden differenziert werden. Im besten Fall genügt es, die Fugen zwischen den Steinen von losem Material und aufgefrorenem Mörtel zu reinigen und vorsichtig mit einem denkmalverträglichen, in der Rezeptur an den barocken Bestand angepassten Mörtel neu zu verfugen. Die Verfugung erfolgt dabei im „Trockenspritzverfahren“, bei dem der Mörtel unmittelbar am Einsatzort an der Einbringdüse angemischt und dann mit Druck in die Hohlräume eingebracht wird. Das Verfahren ermöglicht bei vorsichtiger Handhabung eine gute Eindringtiefe und damit einen stabilen und nachhaltigen Fugverschluss. Risse und Hohllagen können zusätzlich über dünne Schläuche kraftschlüssig injiziert und verfüllt werden.

In vielen Bereichen ist das Gefüge jedoch tiefgreifend zerrüttet: Abschnittsweise sind das meterstarke Mauerwerk im Kern von Baum- und Efeuwurzeln durchzogen und das Gefüge aufgesprengt. Bei so starken Schäden kommt es vor, dass die gesamte äußere Mauerschale abgenommen werden muss, um das Wurzelwerk beseitigen zu können. In diesem Fall werden die Steine vorsichtig gereinigt und, wenn möglich, anschließend wieder versetzt. Um eine gute Anbindung der erneuten äußeren Mauerschale an den Bestandskern herzustellen, wird eine „Vernadelung“ vorgenommen; es werden also Edelstahlnadeln in den Mauerkern eingebohrt, die eine gute Verbindung zwischen Alt und Neu gewährleisten.

Die aufwendigeren Bauelemente wie Wehrerker oder Wasserspeier werden analog behandelt: Wo möglich erfolgt eine schonende Pflege und Restaurierung des vorgefundenen Bestandes, und auch bei stärkeren Schäden wird versucht, möglichst viel der bauzeitlichen Substanz zu retten. Ein weit auskargender, aber teilweise gebrochener Wasserspeier konnte etwa gesichert werden, indem in der Rinne ein zusätzliches Stahlprofil eingesetzt wurde. Auch hier gilt der berühmte Satz des englischen Kunsthistorikers und Denkmalpflegers William Ruskin (1819–1900): „Besser eine Krücke als ein verlorenes Glied!“

Besonders anspruchsvolle Aufgaben bei der Instandsetzung der Zitadelle werden von der neu gegründeten Zitadellenbauhütte übernommen. Mit dieser Eigeneinrichtung der Landeshauptstadt Mainz kann die dem größten Einzeldenkmal der Stadt angemessene Qualität garantiert werden.

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